Das Stadtmuseum im Stern hält Flyer und Broschüren bereit, die den Einstieg in die Stadtgeschichte erleichtern. Es ist kostenfrei zugänglich. Bis ich zu Fuß dort war, musste unter der kundigen Führung von Ludger Sicking in einem Bogen vom Bahnhof über die Diemelbrücke, am stillgelegten Bahnhof der Altstadt vorbei der Aufstieg zur Neustadt bewältigt werden.
Bemerkenswert
Erst gab es die Altstadt. Die Neustadt wurde vom Paderborner Erzbischof initiiert. Beide Städte hatten ein eigenes Rathaus und traten gemeinsam dem Hansebund bei.
Heute wirken die Altstadt und Neustadt mit Fachwerkhäusern beschaulich. In der Verlängerung der Fußgängerzone, die am Neuen Markt beginnt, latscht (sagt Ludger) unsereins aus dem Stammgebiet der Stadt und findet sich in einem Raum aus verwechselbaren Gebäuden landestypischer Einkaufszentren wieder. Lieber umdrehen.
Warburg gibt sich offensichtlich keine Mühe mit dem Tourismus. Weder gibt es ein attraktives Verzeichnis der Übernachtungsmöglichkeiten (ein DIN-A-4-Blatt liegt im Café aus), noch stimmen die Anbindungen an den öffentlichen Personennahverkehr (Borgentreich und Germete sind angebunden, aber wie). Für die günstige Lage am Diemelradweg kann Warburg nix. Diese ist ein fetter Pluspunkt.
Es gibt eine Initiative, die sich um Flüchtlinge kümmert. Sie ist in einer Straße der Neustadt ebenerdig als einladendes Ladenlokal gut auffindbar.
Lebendige Geschichte
Aufschriften an Fachverhäusern, kleine Plastiken an und in Gebäuden, farbige Gestaltung der Häuser, Steinpflaster und ein unschlagbarer Ausblick ins Land. Warburg macht Spaß. Mir fehlt der öffentliche Raum, der in Warburg (wie oft in Westfalen) wenig Raum für Kreativität und ungeplante Begegnung lässt. Das Urbane fehlt, das Dörfliche ist verloren. Was bleibt ist die Spannung der Geschichte der zwei Städte. Das Rathaus ist zwischen den Städten und hat jeweils einen Eingang für Altstadt und Neustadt. Eine gemeinsame Bedrohung führte dereinst zum Zusammenschluß.
Religionsgemeinschaften
Im Stadtbild fallen die Kirchen auf, im Museum die stillgelegten Klöster. Auch die jüdische Gemeinde hat ihre Geschichte. Der letzte jüdische Warburger wurde 1963 auf dem jüdischen Friedhof außerhalb der Stadtmauern beigesetzt. Das Wirtschaftsgymnasium der Stadt hat zur jüdischen Geschichte Warburgs einen ausgezeichneten Podcast veröffentlicht. Es gibt eine Moschee. Die Kirchen sind unübersehbar, wuchtig, passend zum "wir sind wir"-Stadtbild, das durch die Stadtmauer, die teilweise samt Türmen noch zu sehen ist, noch betont wird. "Wir sind wir". Aber wer sind wir? Die Reformation hat auch in Warburg einiges durcheinandergewirbelt. Wer sich mit dem Christentum nicht auskennt, wird sich über soviel Kirchtürme wundern. Eine Synagoge gibt es nicht mehr. Die Muslime fallen nicht auf. Wer mit dem Zug anreist, wird auf die Buddhisten aufmerksam, die allerdings sehr zurückhaltend im Bahnhofsgebäude meditieren und wohnen.
Wie werden wir, die wir nach dem guten Leben suchen, auf Dauer dem Materialismus und der Wachstumsökonomie begegnen? Menschen suchen. Zur Zeit stoßen sie auf geschlossene Türen oder hören Antworten auf Fragen, die sie nicht gestellt haben. Die Vielfalt der Religionsgemeinschaften sehe ich als große Chance, auf die bereits evaluierten Wege hinzuweisen. Ludger sagt: "Es gibt Schnittmengen. Eine ist die Meditation." Eine weitere Schnittmenge ist aus meiner Sicht das Leiden. Wir gehen unterschiedlich damit um, aber wir dürfen es nicht verdrängen. Am Tag dieser Stadtführung begann die Heilige Woche. In den Heiligen Messen der katholischen Kirche wird traditionell die Passion gelesen und gehört.
Geschichte und Gegenwart
Auch in Warburg gibt es einen Kreuzweg, alt, aus Stein, führt er den Berg hinauf zum Friedhof. Das ist konsequent, denn das Leben endet augenscheinlich mit dem Tod. Dass dem nicht so ist, können wir nicht wissen. Schade, dass die Stationen nicht gepflegt werden. Müll liegt herum. Schade, dass es auch in Warburg wenig Bewusstsein in der Bürgerschaft gibt, die eigene Geschichte und Gegenwart zu pflegen. Eine gestiftete Bank wurde demoliert. Schrauben stehen gefährlich aus dem Holz. Auch in Warburg scheint mancher Mensch nicht ausgelastet oder eben desorientiert (Wo soll ich hin mit meiner Kraft?).
Das Attraktivste an Warburg ist diese Widerborstigkeit im Ursprung der Altstadt und der Neustadt. Zwei Städte, die Warburg heißen, an einem Ort. Das weißt auf die Prozesshaftigkeit aller lebendigen Vorgänge hin. Eine Feststellung gilt immer nur im Augenblick. Im nächsten Moment kann schon wieder was passiert sein und meine Einschätzung ist eine andere. Evangelisch und Katholisch, Könige und Bischöfe, Gemüse und Fleisch, Dauerregen und Dürre. Immer hilft der gemeinsame Feind, wenn wir in nachbarschaftlicher Wut uns die Köppe einschlagen wollen. Dann finden wir doch noch zusammen (auch wenn das neue Rathaus zwei Türen braucht).