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Vom linken Niederrhein ins Ruhrbistum
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Hörst du mir zu? - Weihnachtspost

Der Engel sprach zu den Hirten: "Fürchtet euch nicht. Ich verkünde euch eine große Freude. Euch ist heute der Retter geboren, es ist der Heiland, Jesus Christus, der Herr. Ihr werdet ein Kind in der Krippe finden, in Windeln gewickelt. Und jetzt geht."

Das war jetzt das, was ich behalten habe. Bestimmt wissen Sie es besser. Das ist auch gut so. Es st wichtig, dass Sie sich um die Botschaft des Engels kümmern. Sie funktioniert nicht wie Stille Post. Es ist sehr wichtig, dass Sie hören, was der Engel gesagt hat, denn diese Botschaft ist der Schlüssel.

BEATRICE from Fabrica on Vimeo.

Nicht jede Hoffnungsbotschaft ist eine Weihnachtsbotschaft. Darum sollten Sie nicht versuchen, dieses kleine Video mit Weihnachten in Verbindung zu bringen. Es hat nichts mit Weihnachten zu tun. Nur ich sehe darin etwas, das ich mit meiner Idee von den Hirten auf dem Feld und dem Auftauchen des Engels zusammenbringe: Ich will nicht jemand anders sein. Es tut mir gut, dass der Engel nicht mit der Botschaft ins Haus fällt, sondern erst einmal "Fürchtet euch nicht!" sagt. Das zeigt mir, dass der Engel die Menschen, zu denen er spricht, im Blick hat. Er nimmt die anderen wahr. Er gibt seine Botschaft nicht einfach ab und hat damit seine Pflicht getan. Diese Geschichte vom Engel auf dem Hirtelfeld ist Anlaß für allerhand ausdeutende Kunstwerke. SIe kennen bestimmt einige. Mit dieser Botschaft im Herzen loszulaufen ist Teil der ganzen Geschichte. Sie macht keinen Sinn, wenn sie nicht weitererzählt wird. Und sie hat was mit mir zu tun, weil ich sie gehört habe. Ich gebe sie weiter. Aber ich bin nicht alleinverantwortlich. Trotzdem kommt es auch auf mich an. Eigentlich bin ich nicht geeignet als Botschafterin. Trotzdem kann ich sagen, dass ich, seit ich denken kann, Bilder und Geschichten kenne, die mehr transportieren als das Material, aus dem sie bestehen, hergibt. Darum hole ich immer wieder tief Luft. Das hilft.

In aller Ruhe. Wie der Finne so schön sagt: "Kaikessa rauhassa."

 

Mut ist eine sehr persönliche Sache - Weihnachtspost

Es wurde prophezeit, es käme einer, der nicht nach dem Hörensagen urteilt. Jesaja 11. Aber wir wissen es ja besser. Das Evangelium. Was heißt das schon? Ein Messias muss auch Macht haben und eine Armee, sonst kann er ja nicht die Welt erorbern. Ist ja klar.

Die ganze Weihnachtsgeschichte steckt voller Gegenbewegungen. Wer immer redaktionell daran gearbeitet hat, wusste viel über Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Einer meiner Favoriten sind die Sterndeuter aus dem Morgenland, die später zu 3 heiligen Königen wurden, weil man die Knochen so schön als Reliquien vermarkten konnte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Hingabe

Aus dem Nichts der Geschichte tauchen Menschen auf, die den Weg zum Messias gefunden haben, obwohl sie nichts von seiner Ankunft wissen können. Sie haben keine Ahnung von der Heiligen Schrift. Sie sind Sterndeuter. Glücklicherweise ist ihnen anschließend keiner wie Paulus über den Weg gelaufen, sonst ... . Ach, egal. Sie sind auf jeden Fall wieder verschwunden. Im Ernst: Es sind keine historischen Figuren. Die Exegeten sollen sich über den Sinn ihrer Anwesenheit in der Weihnachtsgeschichte äußern. Ich schreibe hier nur, was sie mir bedeuten.

Menschen, die gemeinsam nach dem Allerwichtigsten im Leben suchen.

Menschen sitzen nachts auf einem Zaun und schauen in den Sternenhimmel.

Photo by Greg Rakozy on Unsplash

Beobachten. Sich erzählen, was man wahrnimmt. Zeit haben. Alles teilen. Ich und die anderen.

Nicht fragen, ob es sich lohnt.

Warum sind die Sterne so schön?
Im Winter erkenne ich den Orion, im Sommer das Himmels-W.
Aber es sind viel zu viele Sterne. Je schöner der Himmel ist, um so weniger kann ich erkennen.
Wenn ich in den Sternenhimmel sehe, sehe ich in die Vergangenheit. Ich löse mich von der Schönheit des Anblicks und denke über das nach, was ich sehe, mache mir Notizen und suche nach Informationen.
Science Fiktion mag ich sehr. Abgesehen von der Wissenschaft ist das Spielen mit Ideen über die Zukunft wohltuend. Die Welt kann ganz anders aussehen. Wir können sie gestalten. Aber es gibt auch Vieles, worauf wir keinen Einfluß haben.

Warum sitze ich hier?

Sterndeuter wird man nicht, weil es der einträglichste Beruf ist. Als Jugendseelsorgerin habe ich erleben müssen wie aus Wilden Kerlen vernünftig denkende Menschen wurden, die ihren Beruf nach den besten Aussichten wählten. Sicherheit, Familie, Gesundheit. Da ist nichts gegen zu sagen.

Oder?

Die Sterndeuter stelle ich mir als begeisterte Menschen vor. Ich bin Gott dankbar, dass es möglich ist, Gott zu finden, auch wenn man nicht zum Insiderkreis gehört. Dieses Brennen für etwas, das ist doch ganz unvernünftig, aber es führt zum Messias. Wie kann es kommen, dass wertvolle Geschenke in einem Stall abgegeben werden? Wie kann es sein, dass die Sterndeuter den Messias im Stall erkennen? Das ist eine sehr kluge Geschichte. Die kann man kaputtromantisieren. Die kann man auch einfach auf sich wirken lassen. Otfried Preußler hat das getan und dann eine so schöne Weihnachtsgeschichte geschrieben: "Die Flucht nach Ägypten". Kaufempfehlung. Als Hörbuch besonders berührend, weil der Vorleser böhmisch spricht.

Die Sterndeuter sind aus der Nummer mit dem "satt, sauber, abgesichert" raus. Wie haben sie das geschaftt?

In diesem Jahr habe ich mich mit Agilem Arbeiten befasst. Der Begriff kommt wie Vieles in unserer Zeit aus dem Technikbereich und wird mittlerweile in der Sozialwirtschaft angewandt. Es heißt, was es sagt: Man auch arbeiten, ohne sich selbst dauernd runterzuziehen. Man kann Prozesse leichter gestalten. Es kann alles flüssiger laufen. Es geht. Menschen arbeiten bereits danach. Diese und verwandte Themen finden Sie in dieser Linkliste: https://tomsgedankenblog.wordpress.com/2017/12/18/linksderwoche-kw-51-2017-produktivitaet-projektman... Also habe ich probiert. Kollegen sagen: "Du arbeitest doch sowieso schon so." Ja, danke, nettes Kompliment. Aber das System, in dem ich stecke, funktioniert anders. Meine Erfahrungen will ich 2018 vertiefen. Ich will es besser machen. Es ist nichts so, dass ich es besser weiß. Ich weiß es ja noch gar nicht. Erst muss mal was ausprobiert werden. Immer wieder. Beobachten, kontrollieren, verbessern. Und dann muss mit genau so viel Ernst nach den besten Tageszeiten geguckt werden. Ohne Kollegen geht es nicht. Weglaufen werde ich nicht. Auch das gehört für mich zum agilen Arbeiten nach dem Vorbild der Sterndeuter dazu. Wir haben alle Zeit der Welt.

 

Henne oder Ei? Sie müssen sich entscheiden

Wo auch immer ich bin, das Leben stößt mich auf meinen Job im Bistum Essen, wo der Pfarreientwicklungsprozess auf Touren läuft. Der Pfarrer kündigt seinen Abschied an, die Gemeinden fürchten sich vor Kirchenschließungen, Messen sollen trotzdem stattfinden, ... kaum Zeit, Atem zu holen. Ich bin trotzdem ins Ballet gegangen.

Mitten im ersten Tei wendet sich der Dirigent aus dem Orchestergraben an das Publikum und bittet um Verständnis, dass die Vorstellung hier unterbrochen werden muss. Er erklärt, dass der Flügel, der ja auf der Bühne steht, nur per Lautsprecher auf seinem Dirigentenpult für ihn erreichbar sei. Aber da gäbe es ein technisches Problem, das erst einmal gelöst werden müsse.

Sie werden verstehen, dass mich das sofort an den Pfarreientwicklungsprozess und die Zukunftsbildprozesse erinnert.

Wenige Minuten später kommt der Dirigent auf die Bühne und erklärt, er wolle uns (dem Publikum) nur beste Qualität ermöglichen und darum müsse hier für 10 Minuten unterbrochen werden. Danach gehe es aber weiter. Wir applaudieren. Wir finden auch, dass wir die höchstmögliche Qualität erwarten dürfen. In der Einführung zu diesem Ballettabend hatte der Chefdramaturg Christian Beier zum Schluß zwei Prämissen für den Abend ausgegeben:

1. Sie müssen nicht alles verstehen.

2. Auch Emotionen verlangen Mündigkeit.

Nach 10 Minuten Pause erklärt der Dirigent, wie der Einstieg erfolgen soll. Wir hören nun die Musik zunächst ohne das Tanz-Ensemble. Das macht deutlich, dass hier zwei höchst wertvolle Kunstformen auf uns einprasseln. Denn wir hören Live-Musik. Es ist Musik, für die wir ins Konzert gegangen wären. Ich verstehe nun, warum ich unwillkürlich die Augen geschlossen habe. Es ist Ballett und Konzert. Wem gibt der Dirigent hier den Vorrang? Oder muss er Einem den Vorrang geben, um Beidem genügen zu können?

Für mich war es ein nachhaltig beeindruckender Abend. Es war die Musik und der Tanz, das Ballett, die Künstler und - als Zugabe - die Souveränität eines Dirigenten, der sich seiner Sache offensichtlich auch in der Krise sicher ist.

 

Das Problem mit dem Briefkasten voll Bettelbriefe und anderer vorweihnachtlicher Blödsinn

Bringt es eigentlich was, Bettelbriefe abzubestellen?

Das größte Problem bei einigen Tagen Abwesenheit ist mein Briefkasten. Bei Rückkehr ist er voll. Um diese Jahreszeit sind das Bettelbriefe. Furchtbar. Das mit der Werbung hab ich gut im Griff. Da reicht ein Aufkleber, um das Gröbste zu verhindern. Aber diese Bettelbriefe! Die bedanken sich bei mir mit Adressaufklebern für Spenden, die ich nie getätigt habe. Es sind sogar anerkannte Player darunter. Und ich bin nicht sicher, ob diese Spams unterbunden werden können, wenn ich da mal anrufe. Ich fürchte den Verkaufsexperten von der Sorte Hessie James.

 

Hessi James from Th Sp on Vimeo.

Dabei will auch ich nur helfen. Das tu ich mit all meinen Mitteln. Und mehr werde ich nicht helfen können, weil ich mehr einfach nicht habe. Ich habe übrigens auch nicht mehr Zeit, wenn man mich unter Druck setzt. Aber das können fremde, ferne Menschen nicht wissen. Auch Nachbarn und Kollegen wissen das in der Regel nicht, weil ich immer so freundlich bin. Da hilft nur :

Tür zu

Mein Briefkasten gehört nicht zu meiner Komfortzone. Das ganze Konzept Briefkasten müsste mal runderneuert werden. Da sind beispielsweise Nachrichten vom Paketdienst drin, wo ich mein Paket abholen kann. Da ich auf dem Land (ein Ort, der die Nachteile der Stadt mit den Nachteilen des Dorfes kombiniert) wohne und nicht über ein Auto (!) verfüge, muss ich laufen oder den ÖPNV nutzen. Zum Abholen eines Paketes muss ich eine Stunde meiner Lebenszeit aufwenden. Manchmal kann ich den Weg mit anderen Wegen kombinieren. Das gelingt leider nicht immer. Warum sollte ich dann Dinge über das Internet bestellen? Der Dienstleister am Ort bringt mir die Waschmaschine ins Haus, schließt sie an und kommt auch raus, wenn was ist. Waschmaschine *check. Bücher ist schon schwieriger. Aber die kann ich gut in einer Großstadt beim Buchhändler meines Vertrauens Proust und mehr vorbestellen und abholen, wenn ich sowieso auf dem Weg zu meinem Arbeitgeber bin. Lebensmittel kommen aus der Abokiste oder aus dem kleinen Laden am Ort, der Menschen mit Behinderung beschäftigt, die Teil einer WfbM sind (aber das ist schon wieder ein neues Faß).

Wozu brauche ich einen Briefkasten? Ach ja: das Neues Ruhrwort gibt es immer noch nicht in digitaler Form. Private Briefe und Postkarten kommen auch manchmal. Aber das erledigt sich von alleine. Ich gehe nämlich nicht auf Geburtstagsfeiern. Vor Weihnachten verschiebt sich das Problem im Freundeskreis in das Thema Weihnachtsmarkt. Die wollen immer alle auf Weihnachtsmärkte *seufz*. Glücklicherweise sind die echten Geheimtipps nicht auf der WDR-Seite. Sie treffen mich im Industriemuseum Ennepetal.

Das Problem mit dem Briefkasten ist das einzige Problem meines Lebens, das ich für unlösbar halte.

 

Exerzitien mangels Anmeldungen gestrichen. Ins Lieblingskloster gefahren, ohne Anleitung.

 

Wenn alle machten, was sie wollten, so wie das kleine Mädchen im Bus.

Ein kleines Mädchen setzt sich zu mir im Linienbus und redet vergnügt in einer mir fremden Sprache. Sie hat kein Problem, dass ich in meiner Sprache rede. Schließlich macht sie deutlich, dass sie mein Smartphone will. Wir schauen uns gemeinsam Bilder an. Das ist lustig. Sie sagt in meiner Sprache, was sie sieht, und ich nehme mal an, dass viele Menschen, die mit mir gefahren sind, nun wissen, was sich auf meinem Handy befindet. Schließlich endeckt das kleine Mädchen (ca. 4 Jahre alt) ein Foto von einem Bucheinband.

Ein kleiner Junge sitzt lachendauf einem Brett. Er hält mit einer Hand ein aufgeschlagenes Buch auf seinen Knien.Foto: https://unsplash.com/@benwhitephotography

Mit 2 Fingern macht sie die Schrift größer. Dann fokusiert sie einen Buchstaben, den ich vorlesen soll. Auf diese Weise gehen wir die erste Zeile durch. Sie jubelt. Und beginnt von vorn. Irgendwann schiebt sie das Bild auf die 2. Zeile. Buchstabe für Buchstabe. Mittlerweile kennt sie schon einige Buchstaben, die sie selber vorliest. Wenn eine Zeile zu Ende ist, jubelt sie wieder. Das geht eine ganze Weile so.

Sie entdeckt die Kamerafunktion. O. Sie ahnen, was passiert. Ich habe jetzt viele Fotos von mir und von dem Mädchen und auch einen kleinen Film, den wir uns x-mal angeguckt habe. Sie hat mir genau gesagt, wie ich mich setzen soll. Die Fotos fand sie immer zum Jubeln.

Irgendwann ruft die Mutter sie. Sie müssen aussteigen. Das kleine Mädchen hüpft vom Sitz und geht. Einfach so. Ich denke noch, sie sollte sich verabschieden. Aber wir sehen uns bestimmt wieder.

 

Der Tag, an dem wir begannen zu zweifeln

Der Erste an der Kirchentür war ein mir fremder Mann, von dem es später hieß, er sei schon beim Gemeindefest gewesen. Man sagte später auch, er sei schon als Kind ... seltsam gewesen.

Die Küsterin wurde von ihm mit Namen begrüßt. Er sprach mit sich selbst. In der noch dunklen Kirche saß er hinten und schimpfte über die immer weniger werdenden Messen und brabbelte unsinniges Zeug. Ich mischte mich in seine Selbstgespräche ein und erfuhr, dass er im Obdachlosenheim wohnt und alles verloren hat. Sein Schwiegervater würde bald kommen, sagte er, und nannte dessen Namen und ich dachte, dass dieser bekannte ältere Herr unserer Gemeinde darauf nicht gefaßt sein würde.

Das Eigentliche ist doch die Heilige Messe, zu der die Gemeinde sich am Sonntag versammelt. Ein plärrendes Kind und ein ausrastender Psychot sind Störungen. Die Störung müsste so nachhaltig sein, dass wir ins Nachdenken kämen. Da stimmt doch was nicht. Wenn alle Getauften, sagte der predigende Priester, am Sonntag in die Messe strömten, das wäre eine Welle, die alle mit sich risse. Wir sitzen da und hören die Predigt und gehen dann wieder. Da stimmt doch was nicht.

Unsere Küsterin kam aus der Spur. Sie fand Dieses und Jenes nicht mehr, musste immer wieder fragen, schaltete beim Beginn der Messe das wenige Licht aus statt alle Lichter an. Dann begrüßte der Priester die Gemeinde mit "Satans List, die uns zur Sünde führte ... ." Da rastete der mir fremde Mann in der letzten Reihe aus. Er beruhigte sich nicht wieder. Schließlich musste er hinaus geführt werden und wir konnten den Rest der Messe beinah ungestört hören.

Waiting For Godot Tragic Trailer Feb 2010 from Totally Theatre on Vimeo.

Der Mann schrie und tobte vor der Kirche. Einige von uns gingen hinaus, um mit ihm zu sprechen. Aber er kam kaum zur Ruhe. Er habe alles verloren, sagte er, und dass der Satan in der Kirche nichts zu suchen habe. Wir anderen sprachen mal mit ihm, mal miteinander. So erfuhr ich Einiges, das mir seltsam erschien. Ich fragte die anderen, ob nicht auch dieser Mann ein Mensch sei. Wir waren fassungs- und sprachlos. Und ich dachte, dass eine Gemeinde gut funktionieren kann, wenn die Menschen in ihr leben und sich bewegen und sich bewegen lassen. Die Einen wollen ihre Ruhe, die Anderen gestalten die Kultur der Gemeinde.

Am Ende der Messer las der Priester eine Verlautbarung der Personalabteilung des Bistums vor, aus der man verstehen konnte, dass unser Pfarrer die Gemeinde verlassen wird. Dass ihm eine Sabbatzeit gewährt wid, fand der die Verlautbarung verlesende Priester ausdrücklich gesundheitsförderlich für unseren Pfarrer. Aber auf dem Kirchplatz sprach man mehr über den einsetzenden Regen und den psychisch kranken Mann, von dem allerdings niemand sagte, er sei psychisch krank. Er hatte halt den Gottesdienst gestört. Und von den 25 Kommunonkindern waren nur 4 da gewesen.

Wir Angestellten der katholischen Kirche können mit Hilfe rechnen, wenn wir ratlos und ausgebrannt sind. Aber dieser Mann, der heute als Erster vor unserer Kirchentür stand, weiß nicht, wie das Leben funktioniert. Man habe ihm alles genommen, sagt er. Und die anderen sagen, dass er aggressiv wird und man schön öfter die Polzei habe rufen müssen und er dann in eine geschlossene Anstalt kommt.

Ich möchte nicht in einem Obdachlosenheim wohnen. Ich möchte auch nicht in einem Flüchtlingsheim wohnen. Ich habe einfach nur Glück gehabt (gut, ja, lassen Sie uns jetzt bitte nicht streiten über Worte). Aber wohl ist mir dabei nicht. Wir haben ein Grundgesetz, das wir nur für die Menschen in unserem Land verbindlich Wirklichkeit werden lassen können, die sich anpassen. Wer das nicht schafft, verliert seine Würde. Und das ist eine Katastrophe. Auch wir Christen haben dafür keine Lösung. Wir schützen in erster Linie unser Eigentum. Aber was wird uns das nützen? Auf Dauer, meine ich. Ich meine: über die jetzige Zeit hinaus. Denn wenn ich nicht an Gott glaube, kann ich mein Leben organisieren und abischern. Aber wenn ich an Gott glaube, darf keiner verloren gehen.

Timeless from Abby Middleton on Vimeo.

Ich habe dem fremden Mann versprochen, ihn morgen in dem Obdachlosenheim zu besuchen. Er wusste nicht mal, in welcher Straße er wohnt. Aber das wussten die anderen. Wir Gemeindemitglieder haben darüber gesprochen, wer wen anruft und wie wir Kontakt mit Hilfestellen aufnehmen. Aber ganz ehrlich: Hoffnung hab ich nicht für ihn. Und wir? Wir geben unser Bestes. Versprochen. Wenn Sie bitte für uns und den Mann beten würden?

 

Gar nicht mal so Unzufriedene bei der ersten Komplizenkonferenz im Bistum Essen

Es fing alles damit an, dass das Team vom Zukunftsbildprojekt Gründerbüro des Bistums Essen Unzufriedene zu einer Komplizenkonferenz ins kitev bat. Die Location ist in diesem Turm am Oberhausener Hauptbahnhof. Man steht zunächst vor MacDonalds und weiß nicht so recht, ob man richtig ist. Aber dann trifft man auf einmal bekannte Gesichter aus dem Bistum und muss gucken, wie man die gar nicht so barrierefreie Eingangsstufe meistert. "Wir beginnen mit dem Essen im 5. Stock." Einen Aufzug gibt es natürlich nicht. Na toll. Auf dem Weg dahin fanden wir Zitate an den Wänden. Tief Luft holen und lesen und sich erinnern. Ganz schön seltsame Location, wenn man katholische Erwachsenenbildungsstätten gewohnt ist. Aber die Zitate sind schon vertraut.

Schlüsselbund mit Kapselheber auf einem Zettel mit folgendem Text : "Brecht auf ohne Landkarte - und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist, und nicht erst am Ziel. Versucht nicht, ihn nach Originalrezepten zu finden, sondern lasst euch von ihm finden in der Armut eines banalen Lebens." Madeleine Delbrêl

 

Wer ist dabei ?

Kollegen und Kolleginnen im pastoralen Dienst, aber auch viele unbekannte Gesichter (dazu später mehr). Auf dem Weg zum Essen pinnen wir unsere Heimatgemeinden auf eine Karte des Bistums Essen und kleben unsere Wünsche und Ideen an die Wand. Es geht nicht nur um das, was wir geben wollen, sondern auch um das, was unverzichtbar ist.

Oberhausen liegt im Ruhrgebiet. Aus dem Sauerland ist offenbar niemand gekommen. Aber eine Kollegin aus dem Erzbistum Paserborn ist da und ein junger Mann, der was für ein Land in Afrika tun will, und ein Ingenieur, der hilflosen Personen mit Technik behilflich sein will. Ach? Wie kommen die alle hierher?

Manche Kollegen und Kolleginnen kennt man schon aus anderen Veranstaltungen. Es wird direkt zur Sprache gebracht: Wir haben Lust auf Neues. Dieses und Jenes, das uns im beruflichen Alltag auf die Nerven geht, wird durchgehechelt. Ein Mann, den ich noch nie gesehen habe, erzählt, er käme aus einer der beiden Gemeinden im Bistum, die jetzt ehrenamtlich geleitet würden. Wir nörgeln schon gar nicht mehr. Wir erzählen uns bei Linsensuppe und allerhand Leckerem aus der Küche einer Flüchtlingsinitiative. Ein gesetzter Herr mit Bierbauch stellt sich als ehemaliger Mitarbeiter aus meiner Zeit als Jugendseelsorgerin heraus. Er ist verheiratet, hat Kinder und macht in Scrum.

Dann beginnt Becci Klug mit ihrem Vortrag. Sie ist die Initiatorin des raumschiff.ruhr, das in der Marktkirche im Zentrum der Essener Innenstandt, mitten in der Fußgängerzone, gelandet ist. Sie wollte nie einfach nur eine Gemeinde leiten, sondern traute ihrem Verstand und ihrer Sehnsucht und handelte mit der Kirchenleitung was aus, was ihr entspricht. Auch ihr hat das Essen wirklich gut geschmeckt.

Wat nu?

Offenbar können wir machen, was wir wollen. "Sorgen Sie gut für sich." Das sind wir nicht gewohnt. Es gibt auch keine Rezepte. In Kleingruppen erzählen wir einander was von Gott und unseren Gotteserfahrungen. Ich hatte wirklich durch Zufall die Toppkarte gezogen mit dem Symbol des Leuchtturms: Ein Priester, ein Diakon und eine Gemeindereferentin in einer Kleingruppe. Worst Case. Das Gespräch kommt sehr schwer in Gang. Es ist nicht so einfach, über Gott zu sprechen. Ganz offensichtlich will jetzt keiner von uns etwas Falsches sagen. Dann taucht die Fotografin vom Dienst auf und sieht, dass wir die Karten auf dem Tisch liegen haben, die wir mit Inhalt füllen sollen, und ist ganz begeistert, weil wir die einzige Gruppe sind, die das haben. Der Diakon weist sie darauf hin, dass das so muss. Es gehört ja zu dem Arbeitsauftrag, den wir bekommen haben. Sie macht freudestrahlend Fotos. Anschließend tauchen langsam alle wieder in der zentralen Etage auf (hatte ich erwähnt, dass wir 4 Etagen bespielten?) und klammerten ihre Ideen und Erfahrungen an eine Leine, die in der Mitte des Raumes platziert war. Die freundliche Moderatorin Ursula Hahmann wies unermüdlich darauf hin, dass wir unsere Namen auf die Zettel schreiben sollten, damit andere wissen, mit wem sie Kontakt aufnehmen können, wenn der Zettel Interesse geweckt hat. So weiß natürlich niemand, dass ich einen Server entwickeln möchte, den Gemeinden nutzen können für Kommunikation (mit Datenschutz und allem Drum und Dran) und offene Daten (darüber wäre zu verhandeln). Dafür habe ich Herrn Hasenau kennengelernt, der Hilflosen helfen möchte. Er weiß, dass technische Hilfen oft viel zu teuer sind. Außer uns haben 100 andere Menschen genau so konzentriert miteinander gesprochen. Es war laut. Aber man konnte sich in eine der anderen Etagen verziehen.

WLan gab es auch. Twittern zur Entspannung in der ganz offiziellen Pause.

Noch was für die Professionalität

Es gibt Methoden für Kreativität und Wege, wie man auf Ideen und an Geld kommt. Wir machen noch eine Einheit mit Input. Ich lerne neue Wörter kennen und eine Theorie, die keine Methode ist, sondern eine Beschreibung der Startups, die gut funktionieren, so dass man daraus lernen kann. Aber wir lernen nicht, wie wir es richtig machen sollen, sondern dass es ganz anders gehen kann. Kein Optimierungsmodell. Das neue Wort heißt Effectuation. Es gibt Prinzipien. Und die Workshop-Leiterin hat ihren Namen auch nicht auf die Handouts geschrieben. Sie schlägt uns Lektüre vor. Es ist bereits 21 Uhr und ich muss noch heimfahren mit Zug und Taxi (der letzte Bus ist meist weg). Am besten gefällt mir das 2. der 4 Prinzipien:

Leistbarer Verlust statt erwartbarer Ertrag.

Das gefällt mir. Ich mache, was mich begeistert und was ich kann. Ich beginne nicht mit dem Formulieren eines Konzeptes und ich mache mir auch keine Sorgen, ob das jemandem nicht gefällt. Ich mache das, was ich am besten kann: kommunizieren. Und ich muss auch nicht der King - ups : die Queen im Ring sein. Ich mach einfach, was ich kann. Ich beginne nicht mit dem Absichern des Erfolges, sondern überlege, was ich/das Team/die Gemeinde sich an Verlust leisten können. Neue Wege sind ein Risiko. Wir können nicht sicher sein, dass es klappt. Aber wie Becci Klug ganz am Anfang unserer Konferenz gesagt hat: Es ist die Sehnsucht, die uns nicht zur Ruhe kommen läßt. Es geht nicht einfach so wie immer. Ich kann die Verantwortung für mein Tun leichter übernehmen, wenn von mir nicht der Ertrag vorausberechnet werden muss, sondern mein Blick zu den Menschen geht, mit denen ich zu tun habe. Hoffnung, Enttäuschung, Lebensläufe, Neuanfänge, Berufung, Begeisterung, Ideen und immer wieder Unerwartetes.

Beten mit der Ikone meiner Kindheit

Wir verabschieden uns am Schluß mit einem Versprechen, das wir halten können.

Florian Giersch spielt die Pippi-Langstrumpf-Theme auf seiner Cajon. Auch wir suchen und entdecken und merken, dass ein Gespräch zwischen Pippi und Annika ein schönes Bild sein kann. Annika, die sich Anpassende und Pippi, die Ephraimstochter. Noch einmal an das Erwartbare denken, das so erschreckend undbehindernd sein kann. Ich bin kein Kind und mache mir die Welt mitnichten widdewiddewie sie mir gefällt. Ich bin schon groß und weiß, dass da mehr ist als Geld. Es gibt Sachen zu entdecken und Schätze zu teilen.

Elisabeth Keilmann-Stadtler leitet einen Gottesdienst, der keiner ist. Oder doch. Aber ... . Doch!

Bullshit-Bingo

Die Kirche muss wieder zu den Menschen gehen.

Wir müssen mehr raus.

Wir brauchen neue Formen.

Der Pfarreientwicklungsprozess nervt.

Und jetzt?

Eine Kollegin aus dem Nachbarbistum Paderborn und ich, wir haben unsere Adressen ausgetauscht und werden uns beizeiten treffen. Wir sind nicht unzufrieden. Wir sind auch nicht ratlos. Wir haben nur nicht alles im Griff. Unruhig sind wir

Links

https://www.bistum-essen.de/presse/artikel/das-haben-wir-noch-nie-probiert-also-geht-es-sicher-gut/

http://kirchehochzwei.de/cms/

https://www.willowcreek.de/

http://zukunftsbild.bistum-essen.de/die-bistums-projekte/die-bistumsprojekte/gruenderbuero-fuer-past...

http://www.zap-bochum.de/ZAP/team/florian-sobetzko.php

http://www.maria-laach.de/te-deum/

http://kitev.de/

https://typografie.de/

http://www.hahmann-dessoy.de/

https://www.bistum-essen.de/

 

Ich muss nicht alles wissen

Mein Selbstbewußtsein wächst mit dem Alter. Das liegt am Reisen, an Freundschaften und daran, dass ich merke, dass mein Glaube nicht erschöpft in den Kreisen derer, die alles wissen. Open Source. Sie verstehen? Man teilt, was man hat und weiß. Wir müssen nicht verzweifeln an unseren eigenen Unzulänglichkeiten.

Lorettokirche oberhalb des ehemaligen Klosters Murbach im Elsass. Klobiger Steinbau im Grünen.Schöne Grüße vom LUKi-Treffen in Fulda, wo wir bei der Gemeinschaft Geist und Sendung zu Gast sind. Wir lernen voneinander, wie man scannt, PDF erstellt, wie OCR funktioniert, was ein Podcast ist und Klaus Knopper lehrt uns als Gastreferent das 3-D-Drucken. Es ist unglaublich, wie viel Zeit wir konzentriert mit Lernen verbringen und wie wenig Reibungsverlust entsteht. Mich bedrücken die Erinnerungen an Ellebogenkämpfe in der Schulzeit. Wir diskutieren über selbstfahrende Autos, den Sinn von cloudbasierten Diensten, Gefahren und Notwendigkeiten.

Kein Mensch interessiert sich für die Zukunft

Wir müssen natürlich auch mal den Tisch abräumen. Wir werden müde, die Sonne blendet. Wir kommen gar nicht dazu, ein Podcast zu erstellen, obwohl wir alles an Zubehör und das nötige KnowHow vor Ort haben.

Die Loretto-Kirche in Murbach im Elsass

Oberhalb der Klosterruine von Murbach im Elsass steht eine der zahlreichen Lorettokirchen, deren Prototyp von Kreuzrittern aus dem Heiligen Land gerettet wurde, als ihnen klar war, dass sie das Heilige Land nicht würden halten können. Von da an entstanden Lorettokirchen an vielen Orten. Klobig. Innen drin mit viel Bildern und Figuren, die die Geschichte von Bethlehem erzählen.

Während ich dies schreibe, wird überlegt, ob ein Minkowski uns weiterbringt oder?

Der Podcaster hängt konzetriert an seinem Notebook, der Fahrradfahrer entwirft und entwirft und entwirft, der Vorsitzende schreibt einen Beitrag, alle anderen haben auch so ihre Aufgaben. Wir diskutieren und vergessen das Essen und Trinken. Einer knistert mit seiner Glutenfrei-Tüte. Es gibt überhaupt keine Mateflaschen und der Gottesdienst, den wir gemeinsam mit dem Barcamp in Köln hätten halten wollen, läuft grad ohne uns. Wir lernen was über Material, das beim Drucken in 3D verwendet werden kann und worauf man achten muss. Alles ohne Mittagspause. Auch der Referent findet kein Ende.

Haben wir wirklich ein Bildungsproblem in Deutschland?

Wenn ich etwas nicht verstanden habe, frage ich meinen Nachbarn. Wer was nicht weiß, labert mich nicht einfach voll. Ich frag den Nächsten. Manchmal sitze ich einfach da und höre zu. Prinzipiell können wir uns jetzt alles Mögliche ausdrucken. Die eigentliche Arbeit steckt im Entwickeln der Datei. Man muss in dem Programm aus geometrischen Figuren das zusammensetzen, was man sich denkt. Das kann man lernen. Dazu braucht man nicht viel. Aber ein 3-D-Drucker ist teuer. Wir erfahren, dass man schon 1500 € investieren muss. Wir erfahren auch, welche Gefahren so ein Gerät birgt. Dazu käme das Material und die Druckkosten. In manchen Schulen oder öffentlichen Büchereien stehen 3-D-Drucker, die allen zugänglich sind. Es ist wirklich nur die Arbeit, die man selber zu leisten hat: lernen und Übung und der Austausch mit anderen.

Mehr Freiheit

Wer selbstbewußt ist, muss sich nicht absichern. Wer geliebt wird, kann Risiken eingehen. Wer liebt geht Risiken ein. Atmen. Durchhalten. Neugierig sein.

Es gibt Menschen, die missionieren. Das meine ich so: Es gibt Menschen, die sind so begeistert, dass sie alles teilen - Sie wollen, dass auch andere die gleichen guten Erfahrungen machen. Glück. Geborgenheit. Staunen. Nichts, was man sich kaufen könnte. Es liegt auch gar nicht am Geld. Aber das ist schwer zu vermitteln. Es liegt auch nicht an den Parteien und nicht an wasweißich.

Wir reden über das, was uns begeistert. Wir lernen. Wir teilen. Wir fragen. Wir sind neugierig. Ich frage mich, warum das hier geht und nicht in meiner Heimatgemeinde. Ein Kollege fragt, wo meine Heimatgemeinde ist und ich zähle die Standorte auf, die dazugehören. Wir reden über Kirchenentwicklung und die freikirchlichen Kollegen lachen nicht. Sie wissen auch nicht alles besser.

Wenn ich etwas nicht verstehe und es verstehen möchte, muss ich fragen. Keiner lacht über meine Fragen. Anders als damals in der Schule muss ich meine Freiräume nicht erkämpfen. Aber zu wenig frische Luft und zu wenig Bewegung hatte ich auch hier. Man verläßt den Raum nicht gerne, man könnte ja was verpassen. Zum Beispiel, wie man Acetonfiguren mit Aceton schön blank kriegt. Aber wir reden natürlich auch darüber, dass wir unsere Freizeit kaum erkennen können. Denn was wir beruflich machen und was uns interessiert ist nahezu deckungsgleich.

Während ich diese Zeilen schreibe, wird gedruckt, gefrickelt, getippt, entspannt, gebetet und anderswo sterben Menschen. Auf einmal ist alles möglich. Es wäre möglich, dass alle Menschen leben können. Und ich bin sicher, dass wir das eines Tages hinkriegen. Wenn auch hier noch nicht alle Menschen erreicht werden, ... wenn wir auch aus unseren guten Erfahrungen keine Theorie entwickeln, ... egal. Das hier ist schon mal richtig gut.

 

Colmar und was ich daraus lerne

Auf dem Weg nach Colmar machten wir Station in Klingenmünster und entdeckten dabei Laurins Wald. Nur Bäume (ohneKronen und Wurzeln, auch der Boden ist nicht zu sehen) und ein Schild mit der Aufschrift

Colmar liegt im Elsass. Wenn man nicht genausoviel wandert wie man Speis' und Trank konsumiert, endet der Urlaub mit Verdruss. Spieglein, Spieglein - bin das ich?

Reisen Sie im Oktober ins Elsass. Die Einheimischen haben viel zu tun wegen der Weinernte. Das Laub färbt sich von Grün zu Vielfalt. Man kann übrigens mit Bus und Zug wunderbar von Colmar aus in die Umgebung reisen, zurückwandern oder eine Rundtour machen bis zur Ausgangshaltestelle. Für Sie getestet und für gut gefunden. Sie werden Albert Schweizer und Störchen begegnen. Es gibt eine unglaubliche Fülle an Walnüssen, Pflaumen, Schmetterlingen, Äpfeln. Eigentlich muss man nur was zum Trinken mitnehmen.

Was mich wirklich verblüffte: die Sprache. Im Gespräch mit Mitmenschen kommt die Frage auf: Welchen Sinn machen Staaten? Ich denke: Dies ist das Elsass, man spricht elsässisch. Das kann man nicht auf "französisch" oder "deutsch" reduzieren. Aber wie bringt man das in unsere zeitgemäße Form von Staaten unter? Über die Grenze kommen wir bereits ohne Unterbrechung. Man sieht die alten Grenzanlagen, die noch gebraucht werden, wenn wieder Terroristen zugeschlagen haben. Terroristen. Das ist auch so ein Wort. Wir diskutieren bei Wein und Flambée. In den Zeitungen geht es um die Separatisten in Spanien - zum Beispiel die Katalonen. Darf der spanische Staat Menschen in Katalonien mit Gewalt in die Knie zwingen, weil es sein Staatsgebiet ist?

Im Bartholdimuseum wird erklärt, wie die Freiheitsstatue entstand. Es wird aber nicht erklärt, wie der Künstler Bartholdi auf seine Idee kam. Er war finanziell unabhängig. Der Koloss von Rhodos beeindruckte ihn, aber für den Suezkanal ließ man ihn nichts bauen. Das mit der Freiheitsstatue dauerte, aber es wurde was. Ich kann darin keinen politischen Willen erkennen. Es ist Kunst mit einem Sinn für Proportionen, Schönheit und Pathos. Ein bißchen enttäuscht bin ich schon. Ich hatte gedacht, die Statue begrüßt Einwanderer: "We hold up these truths ..."

Hansi verpassen Sie garantiert nicht. Er war einer der ersten Werbegrafiker (Wir haben seine und die Schilder anderer an den Handwerkerhäusern und den Restaurants fotografiert). Er war ein pfiffiger Zeichner. Man erfährt leider zu wenig über seinen Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Dafür sind seine Bilder einfach zu niedlich. Viel passender als der Stress mit der Gesinnung. In einer Buchhandlung mit Antiquariat in der Rue des Marchands gibt es haufenweise unterschiedlichste Literatur über den Elsass und Zeichnungen von Hansi und anderen pfiffigen Künstlern (beispielsweise Tomi Ungerer, aber den beguckt man gründlicher in Straßburg). Dort findet man auch ein Taschenbuch, das in mehreren Sprachen veröffentlicht erklärt, warum das Elsass endlich befreit werden muss.

Mir kamen die Menschen im Elsass freundlicher vor als in anderen Gegenden. Aber mir fällt auf, dass grundsätzlich französisch gesprochen wird.

Der Staat sorgt für Recht und Ordnung. Wir müssen uns um Vieles nicht kümmern. Wenn wir leben, wie wir leben, wird irgendein Staat kommen, und uns einfach wegnehmen, was wir nicht verteidigen können. Oder ein Konsortium wird kommen.Ich denke an etwas ganz anderes. Es müsste geerdete Lebensräume geben, die ins Unüberschaubare hinein vernetzt sind. Ich will reisen, lernen, mich informieren, genießen, teilen, gestalten. Blockchain und Urban Gardening.

Polizeipräsenz fällt auf. Beispielsweise 4 Polizisten im Bahnhof. 2 Franzosen, 2 Deutsche. Eine ältere Dame spricht einen der deutschen Polizisten an, der wortlos auf das Embelm auf seinem Ärmel zeigt. Freundliche Menschen und Polizeipräsenz.

Während wir in Colmar sind, brennt ein Haus in einer Nachbarstadt. Kinder und ein Erwachsener sterben. Es wird ein fremdenfeindlicher Hintergrund vermutet. In einer anderen Nachbarstadt Colmars gibt es eine Bombendrohung. Zum Glück passierte nichts. Bei einer Zugfahrt zurück aus den Weinbergen in die Stadt ist Polizei anwesend. Sie gehen durch den Zug. Als sie aussteigen, steigt Bahnpolizei ein.

Mir fiel auf, dass immer wieder Touristen "Unter den Linden" sagen, wenn sie aus Deutschland kommen. Aber das Museum mit dem Issenheimer Altar heißt Unterlinden. Mein Favorit ist die Verkündigung an Maria von Otto Dix, das im neuen Gebäude hängt.

Die grausame Seite des Internets lernen wir im Au Croissant Doré kennen: Eine alte Dame führt dieses Café. Das weiß auch der TripAdvisor. Mehr muss ich wohl nicht sagen. Wir bemühten uns, nicht im Weg zu stehen und nahmen unser Croissants morgens nach der touristischen Rush-Hour. Gäste gehen der alten Dame zur Hand. Sie sagt: "Die Deutsche reisen so viel." Ja, das habe ich auch in anderen Ländern schon gehört. Vielleicht tun wir das, weil es bei uns so eng ist. Im Elsass hat selbst derLKW-Fahrer noch die Wahl, ob er Fußgängern den Weg freigibt. Offenbar zählt nicht jede Sekunde. Aber es gibt auch Bettler und Ausgegrenzte. An den Orten der Touristen treiben sich auch Besoffene rum, die müde aussehen, richtig traurig. Bei aller Gelassenheit machen wir die Erfahrung, dass in Klein-Venedig die Mittagszeit streng eingehalten wird. Durchgehend offen ist nur die Bar oder das Café. Menschen brauchen Pausen. Alle Menschen. Und man kann nicht alles für Geld haben. Die alte Dame im Au Croissant Doré kommt um 7 Uhr in ihr Café, mittags hat sie eine Hilfe, abends ist sie mindestens bis 21 Uhr im Café tätig. Aufräumen, abrechnen, vorbereiten, Einkauslisten. Das wissen die TripAdvisor-Kunden nicht, die schreiben, man warte lange auf seinen Kaffee, der außerdem nicht gut sei und eng sei es auch. In Wirklichkeit werden zwei vorhandene Tageszeitungen unter den Gästen (natürlich nicht unter allen) weitergereicht. Wir hatten uns angewöhnt, eine mitzubringen, so dass 3 Tageszeitungen kursierten. Man kann diesen Ort nicht besser machen. Man kann da nichts optimieren.

Don't miss Ammerschwihr

Ammerschwihr ist ein kleiner Ort in der Nähe von Colmar. Durch Zufall geraten wir beim Wandern dort hin. Denn hin wollten wir nicht, da der Reiseführer es für uninteressant hielt. In dem Ort gibt es einen Künstler, der mit Mosaiken arbeitet. Der Reiseführer war der Meinung, der Krieg habe alles kaputt gemacht. Im Ort gibt es Schilder, die Reste von Häusern erklären und alte Anblicke der Stadt zeigen. Außerdem wird eine amerikanische Fotografin geehrt, die die Zerstörungen dokumentierte und die Menschen vor Ort portraitierte. Und die Website zeigt wirklich etwas von dieser Zufriedenheit der Menschen. Verpassen Sie Ammerschwihr nicht.