Was ist eigentlich dieses "digitale Kirche"? Smartphones, Jugendliche mit zukünftigen Nackenwirbelproblemen, leere Kirchen, ... oder doch eher etwas kompetentes, zukunftsorientiertes, erfreuliches? Der Begriff taucht bei Twitter immer wieder auf. Aus Zusammenhängen in Blogs kann ich nicht erkennen, was genau gemeint ist.
Fledermäuse im öffentlichen Personennahverkehr
Die Nerds in katholischen Kreisen Hauptamtlicher betonen gerne, man könne Jugendliche mit Aufgaben am Computer betrauen. Ich bin da nicht so sicher.
Letztens packte ich eine Frage computertechnischer Art in eine längst verstaubte WhatsApp-Gruppe ehemaliger Firmlinge, die nur noch lebt durch Meldungen, wer die Gruppe verläßt oder tapferer Veranstaltungshinweise meinerseits. Auf meine Frage antwortete eine Dame aus der Gruppe, sie habe leider keine Ahnung. Sie ist eine Nette. Wir sind auf Instagram verknüpft, haben aber ansonsten nichts miteinander zu tun. hm. Wirklich nicht? Sie geht nicht in die Kirche. Ich sehe sie selten. Ihre Bilder sind schön. Sie postet viel über gemeinsame Erlebnisse. Tolle Sache. Wir haben wohl doch was miteinander zu tun, wenn sie doch antwortet.
Im Linienbus. Ein ehemaliger Firmling derselben Gruppe steigt ein. Er steckt im Abi. Neuerdings immer mit so Riesenkopfhörern auf den Ohren. Wir grüßen einander immer freundlich. Nicknick. Fertig. Er lehnt sich lässig an den Handlauf. Ich sitze weiter hinten und schaue in die Gegend. Auf einmal setzt er sich in Bewegung, kommt, setzt sich neben mich und schwups sind wir in einem Gespräch über mein technisches Problem. Er erzählt von seinen Projekten und ich zeige ihm einen Blogbeitrag zu dem Thema, das mich bewegt. Er will sich das mal angucken. Tschüsstschüss. Ich bin verblüfft.
ein Schiff, das sich Gemeinde nennt
Wenig später sitze ich mit Freifunkern in der Kneipe. "Ach, du bist von der Kirche?" Einer outet sich als ehemaliger Pfadfinder und erzählt ganz begeistert von einem ehemaligen Pfarrer, der ganz plötzlich starb und seitdem geht alles bergab. Ich muss mich jetzt zusammenreißen. Ich könnte jetzt eine Art Presseerklärung unserer Pfarrei abgeben, aber verzichte darauf. Man redet und redet und ich bin schon wieder verblüfft. Man erzählt von der Flüchtlingshilfe, für die man in Gemeindehäusern Chromebooks und Router bereitstellt. Traurig nur: die Router werden nur für den Deutschunterricht angestöpselt. Ansonsten ist da ein roter Punkt auf der Karte. Was soll ich sagen? Die Gemeinde, von der die Rede ist, leidet an ihren Hauptamtlichen. Der junge Mann hat recht: sie gehen alle weg. Es wäre vorausschauend von dem verstorbenen Pfarrer gewesen, wenn er seine Pastoral mit Ehrenamtlichen ausgestattet hätte und nicht alles auf sich fokusiert worden wäre. Er ist weg. Wie als wär beim Jenga der falsche Stein gezogen worden. Im Kreis der Freifunker verabrede ich, mit den Kollegen zu reden. Aber auch den Freifunkern würde ich gerne eine neue Sicht auf Kirche vermitteln: Wir sind Kirche. Das muss in die Köpfe und die Herzen. Einerseits soll alles modern sein, andererseits soll der Pastor es richten. Wie kann man das ändern?
Der junge Mann erzählt von seiner Oma, die nicht mehr in die Kirche kann und die bei einem gestreamten Gottesdienst bestimmt voll abgehen würde.
Bestattung
Der Kollege trägt sein schwarzes Ringbuch bei sich und ich mein Tablet. Er findet es seltsam, dass ich ein Tablet auf einer Beerdigung bei mir trage. Ich nicke nur. Es braucht alles Zeit. Die Familie, die ihren Sohn, Bruder, Cousin zu Grabe trägt, interessiert sich nicht für die Mittel und Methoden. Ein bißchen hängen sie immer noch an bestimmten Zeichenhandlungen. Aber sie sehen weder das Ringbuch, noch das Tablet.
Das neue Gotteslob
Ein Messdienerleiter im Rollstuhl kann wegen langwieriger Erkrankungen schon länger nicht in die Kirche kommen. Sein Nachbar zieht ihn auf, er müsse doch in die Kirche, schließlich sei er katholisch. Mindestens 7 Jahre war er jetzt nicht mehr in einer katholischen Messe.
Wir treffen uns, um das neue Gotteslob anzuschauen. Wir sehen uns das Inhaltsverzeichnis an und finden das Glaubensbekenntnis in 2 Versionen an 2 verschiedenen Stellen. Wir sehen "Tagzeitenliturgie" und ich erzähle von Twitter, Twaudes und Twomplet und er sagt, er bete lieber persönlich. Ich versuche zu erklären, wie wir bei Twitter beten, aber er geht nicht darauf ein.
Später denke ich, dass das Digitale an der Kirche genau so wie das Eucharistische ihm nicht geläufig sind.
Inklusion
Für Menschen mit Behinderung ist das Internet genau so wie die moderne Computertechnik eine Chance zur Teilhabe an einem gesellschaftlichen Leben, das noch nicht von allen in unserer Gesellschaft als Normalität empfunden wird. In meinem Verständnis von dieser digitalen Kirche gibt es kein Richtig oder Falsch. In vergleichbarer Weise kann jeder Mensch an Twitter teilnehmen. Wenn ich einen Tweet lese, lese ich diesen Tweet. Von dem, der ihn tippte oder einsprach, weiß ich nur, was er preisgibt von sich. Es ist mir gewöhnlich auch nicht wichtig.
Inklusion und Teilhabe fokusieren auf die Gesamtheit der Gesellschaft.
Die digitale Kirche steht als Begriff neben evangelische Kirche, katholische Kirche, Freikirche, ... und meint doch etwas ganz anderes.
Was mir gut an Inklusion und Teilhabe und digitale Kirche gefällt, ist ihre Unfaßbarkeit und Weitläufigkeit, das Interesse, die Begeisterung, das Verwischen der Hindernisse zwischen Teilnehmern und Teilgebern. Beiden ist eher eine Haltung eigen als eine Definition.